Von Marc Friedrich und Matthias Weik
Mittlerweile ist Target2 ist in aller Munde, Bereits 2014 haben wir diesem Thema in unserem zweiten Buch „Der Crash ist die Lösung“ ein Kapitel gewidmet. Die Problematik ist dieselbe – nur die Dimension ist noch größer geworden.
„Target2 – was ist darunter eigentlich zu verstehen? Kurz gesagt geht es da um die Verrechnung wechselseitiger Forderungen der Zentralbanken der Euro-Zone. Aha. Reden wir zum besseren Verständnis, aus aktuellem Anlass, kurz über Fußball.
Nicht nur über dem spanischen Staat und den dortigen Banken kreist der Pleitegeier. Mehr als ein Dutzend spanische Proficlubs mussten sich für zahlungsunfähig erklären und Gläubigerverfahren einleiten. Wie das gesamte Land leben auch seine besten Fußballvereine seit Jahren über ihre Verhältnisse: Sie geben im Jahr 2,1 Milliarden Euro aus, nehmen aber nur 1,8 Milliarden ein. Nachhaltiges Wirtschaften sieht anders aus. Die Clubs der Primera Division werden daher auch von einem Schuldenberg von insgesamt 3,5 Milliarden Euro erdrückt, die Verbindlichkeiten aller spanischen Profivereine zusammen werden auf 5 Milliarden Euro geschätzt. Alle sind mittlerweile so gravierend verschuldet, dass der Liga der Ruin droht. Die Zeitung El País fragte sich: „Muss die EU nun auch den spanischen Fußball retten?“ Dummerweise zahlten viele Vereine zudem jahrelang ihre Steuern nicht. Die Finanzämter beziffern die Verbindlichkeiten der Proficlubs gegenüber dem Staat auf weitere 750 Millionen Euro.
Sie stellen sich jetzt bestimmt die berechtigte Frage: Was haben Spanien, der spanische Fußball und irgendwelche komischen Zentralbank-Forderungen mit mir zu tun? Die erste Antwort klingt vermutlich ein bisschen knifflig. Aber mithilfe des Fußballs lässt sich das alles ganz gut begreifen.
Das „Trans-European Automated Real-time Gross settlement Express Transfer system” ist an sich etwas furchtbar Technisches. In jeder Sekunde werden im Euroraum Abermillionen von Zahlungsvorgängen abgewickelt. Sehr viele davon innerhalb einzelner Länder und ausschließlich zwischen verschiedenen Geschäftsbanken oder Sparkassen. Aber eben auch sehr viele grenzüberschreitende Zahlungen. Und damit dabei nicht die Übersicht verloren geht, die nicht zuletzt für die Erfassung von Zahlungs- und Leistungsbilanzen wichtig ist, schalten sich die nationalen Zentralbanken und die EZB dazwischen, die all die transnationalen Überweisungen bündeln. Das Target2-System erledigt das in Echtzeit.
Die Süddeutsche Zeitung hat das System im August 2012 anschaulich erklärt: „Verkauft zum Beispiel ein deutscher Händler ein Auto nach Spanien, fließt das Geld folgenden Weg: Der Spanier geht zu seiner Hausbank, um die Überweisung nach Deutschland in Auftrag zu geben. Die Hausbank wendet sich an die spanische Zentralbank, die der Europäischen Zentralbank EZB Bescheid gibt. Die EZB meldet die Summe der Bundesbank, die dann das Geld an die Hausbank des deutschen Autohändlers zahlt. Der Deutsche sieht es dann auf seinem Konto und schickt das Auto an den Spanier. Eigentlich ein gutes Geschäft – nur senden sich die spanischen und die deutschen Notenbanken kein Geld hin und her, denn Zentralbanken erschaffen quasi Geld aus dem Nichts. Die Bundesbank erhält somit ‚nur’ eine virtuelle Forderung, die an den Mittler der Euro-Zone gerichtet ist, an die EZB.“
Wir wissen, dass es rund um das Thema Target2 eine kontroverse Debatte unter den Ökonomen gibt. Einige, vorneweg der ehemalige Chef des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, gehen mit guten Argumenten davon aus, dass in diesem an sich rein technischen Abwicklungssystem sehr reale Forderungen aufgelaufen sind. Andere sehen in den Target-Salden nur eine theoretische Verrechnungseinheit, da die eigentlichen Waren- und Geldflüsse ja 1:1 abgewickelt worden seien. Das ist auch der offizielle Standpunkt der Deutschen Bundesbank. Klar ist: Der deutsche Händler hat fast immer sein Geld, und der Spanier sein Auto bekommen. Vom Werk bis zum Endkunden werden alle Forderungen früher oder später glattgestellt. Aber das ist sozusagen nur die betriebswirtschaftliche Seite der Sache. Volkswirtschaftlich wird es spannend, wenn die Spanier weit mehr in Deutschland einkaufen als sie uns liefern. Statistisch entsteht dann ein Leistungsbilanzdefizit. Monetär entsprechen diesem Defizit die Target-Salden. Deutschland hat mehr Forderungen an Spanien oder Griechenland als umgekehrt. Der Punkt ist, dass diese transnationalen Forderungen der Zentralbanken gegeneinander in der Summe eben leider nicht alle beglichen worden sind. Denn im Gegensatz zu allen Geschäftsbanken sowie jenen Zentralbanken, die nicht am Euro-System teilnehmen, müssen die Euro-Zentralbanken ihre Forderungen und Guthaben nicht täglich um 24:00 Uhr auf Euro und Cent abrechnen. Die Hausbank des deutschen Autohändlers hat von der Bundesbank via EZB Geld bekommen und dies ihrem Kunden auch gutgeschrieben. Die spanische Nationalbank aber hat der EZB bislang bloß Bescheid gesagt, dass sie das Geld bitte überweisen soll. Die Kohle des spanischen Autokäufers hat sie, sehr salopp gesagt, aber noch nicht rübergeschoben. Und so stehen Jahr für Jahr höhere Differenzen in den Büchern der EZB.
Und da sind wir wieder beim Fußball. Laut Rolf von Hohenhau, dem Präsidenten des Bundes der Steuerzahler in Bayern und der Taxpayers Association Europe, nimmt die Tragweite der Target2-Salden immer skurrilere Züge an. Denn auch im Fußball kommt das Eurosystem zum Tragen. „Letztlich laufen die Ablösesummen spanischer Clubs für Spieler wie beispielsweise für Sami Khedira über die Bundesbank und erhöhen die Target-2-Forderungen“, warnt von Hohenhau. Der Fußballstar war 2010 gegen eine Ablösesumme von 14 Millionen Euro vom VfB Stuttgart zu Real Madrid gewechselt. Doch eigentlich wurde der Transfer von der Deutschen Bundesbank bezahlt. Die grenzüberschreitende Zahlungsverrechnung erfolgte über das System Target2. Hierzu erteilte die spanische Nationalbank der Bundesbank den Auftrag, 14 Millionen Euro an den VfB (bzw. dessen Bank) auszuzahlen, was zweifelsfrei auch geschehen ist. Zum „Ausgleich“ erhielt die Bundesbank Papierforderungen gegen die EZB (= positive Target-2-Forderungen). Und irgendwie hatten im selben Zeitraum die deutschen Vereine eben nicht so viel Geld übrig wie die verschwenderischen spanischen Clubs, weshalb sie auch nicht ganz so viele und nicht ganz so teure Stars in Spanien einkaufen konnten.
Auf diese simple Weise ist die Deutsche Bundesbank 2014 um insgesamt rund 510 Milliarden Euro von den „Südländern“ (Spanien, Griechenland, Italien usw.) gerupft worden. Heute sind es bereits 976 Milliarden Euro. Das Geld dürfte in Anbetracht der volkswirtschaftlichen Lage in Spanien wohl unwiederbringlich weg sein. Wohl gemerkt: unser gutes Geld! Denn die Bundesbank gehört letztlich den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland. Sie werden als Steuerzahler einspringen müssen, wenn die Buchhalter der EZB eines Tages mit den Schultern zucken, weil die Bundesbank ihre Forderungen auch mal gutgeschrieben bekommen möchte. Somit haben wir im konkreten Fall Khedira auch dem VfB Stuttgart 14 Millionen Euro in Form vermutlich wertloser EZB-Schuldscheine gepumpt. Jetzt sagen Sie, Khedira ist bereits lange wieder weg aus Spanien was interessiert mich das, das ist ja ewig her. Toni Kroos ist jedoch noch immer (seit 2014) bei Real Madrid und hat bereits drei Mal in Folge die Champion League gewonnen. Manch einer unserer Top-Fußballer kickt im Ausland und macht unter anderem auch deutschen Clubs die Fußballwelt schwer – so schafft man sich selbst Wettbewerb. Als Ökonomen wie als bekennende Fußballfans stellen wir uns natürlich die Frage: Wie blöd sind wir eigentlich?
Die Entwicklung der Target2 Salden – Verbindlichkeiten anderer Notenbanken gegenüber der Bundesbank – sprechen eine eindeutige Sprache. Wir sind vollkommenen überzeugt, dass wir einen Großteil des Geldes nie wiedersehen werden.
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Grafik: querschuesse.de