Eine aktuelle Studie der Credit Suisse erläutert, warum große Länder von kleinen, entwickelten Ländern wie der Schweiz, Dänemark oder Singapur lernen sollten. Laut den Autoren bieten kleine Länder ein klareres, deutlicheres Bild der wirtschaftlichen und politischen Probleme, die im System entstehen.
Nach der Aufgabe des EUR-CHF-Mindestkurses haben sich die Märkte etwas beruhigt, auch wenn die Schweiz vielleicht immer noch das Gefühl hat, dass sie weiterhin im Rampenlicht steht. Ein Blick auf andere kleine Industrieländer zeigt, dass die Schweiz nicht allein ist, wenn es darum geht, mit wirtschaftlichen Herausforderungen umzugehen, die von großen Ländern oder Marktunionen verursacht wurden.
Die Frühwarnsysteme
Denken Sie nur an Dänemarks wiederholte Absenkungen der Zinssätze in den negativen Bereich, Irlands Anstrengungen, wieder zu wachsen, und die überraschende Zinssenkung der Monetary Authority in Singapur. Diese Maßnahmen zeigen, dass viele kleine Länder an vorderster Front stehen, wenn es um die Bewältigung der aktuellen makroökonomischen Herausforderung der sinkenden Inflation geht sowie der Ausstrahlungseffekte, welche die großen Zentralbanken mit ihren Maßnahmen verursachen. Genauer gesagt bestätigen sie den Eindruck, dass kleine offene Volkswirtschaften die Frühwarnsysteme der Weltwirtschaft sind, wie im neuesten Bericht des Credit Suisse Research Institute gezeigt wird. In dieser Hinsicht bieten die Erfahrungen und Reaktionen dieser kleinen Länder wertvolle Erkenntnisse für große Länder wie die USA und China, aber auch für Institutionen wie den IWF und die G20-Konferenz.
Noch immer bewegt sich die Weltwirtschaft auf Neuland: Die Globalisierung wird durch die Multipolarität abgelöst, wir erleben noch nie dagewesene geldpolitische Entscheidungen, die Wachstumsaussichten sind noch immer unsicher und geopolitische Belange üben einen immer größeren Einfluss auf Volkswirtschaften aus. Angesichts dieser Trends bieten kleine Länder eine wertvolle Perspektive auf das, was uns bevorsteht.
Verstärkte Steuerung der Globalisierung
Zunächst ist da eine stärkere Steuerung der Globalisierung. Erfolgreiche kleine offene Volkswirtschaften, wie Singapur, Hongkong oder Neuseeland, gehen zunehmend zielgerichteter mit globalen Strömungen um. Wir beobachten Einschränkungen bei der Einwanderung, Kapitalkontrollen/Wechselkurs-Management und Neuerungen bei der makroprudentiellen Politik als Reaktion auf Herausforderungen von volatilen globalen Kapitalströmen, einem Niedrigzinsumfeld und Wechselkurs-Druck.
Als nächstes ist eine flexiblere Herangehensweise an internationale Wirtschaftsintegration zu nennen. In dieser Hinsicht lassen die Erfahrungen der kleinen Länder vermuten, dass Bottom-up-Ansätze, die den Kontext beachten und Experimente auf lokaler Ebene ermöglichen, besser funktionieren als universelle Einheitsansätze.
Als Drittes gibt es die politischen Herausforderungen eines anhaltend niedrigen Wachstums und der Austerität. Viele kleine Länder, von Neuseeland bis zu den baltischen Staaten, kamen in den Anfängen der Krise relativ gut weg, indem sie mit Haushaltskonsolidierung und strukturellen Reformen darauf reagierten. Die jüngsten Erfahrungen in Irland und auch anderswo zeigen jedoch, dass diesem Ansatz Grenzen gesetzt sind – selbst mit starken Institutionen und dem in sie gesetzten Vertrauen, das für viele kleine Länder charakteristisch ist.
Wir wagen sogar zu behaupten, dass große Länder wie die USA und China von der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit, mit der erfolgreiche kleine Industrieländer die Herausforderungen, vor denen sie stehen, angehen, lernen können.
Die Vorteile eines «Clubs der kleinen Länder»
Historisch gesehen haben sich die kleinen Industrieländer der Welt aus einer Reihe von guten Gründen nicht zusammengeschlossen – geographische Gründe, die Anziehungskraft großer multinationaler Plattformen wie die EU und vor allem ein Mangel an Bewusstsein hinsichtlich des Ausmaßes, mit dem sich internationale Kräfte auf kleine Länder auswirken (das hat sich nach der Finanzkrise jedoch geändert).
Nun ändert sich jedoch vieles an dieser Denkweise. Zudem sinken die Kosten der Koordination zwischen kleinen Ländern. Obwohl viele kleine Staaten um Tourismus konkurrieren, gibt es bei den ausländischen Direktinvestitionen und der Technologie viel Raum für eine mögliche Zusammenarbeit. Entscheidend dabei ist, dass kleine Länder und ihre einzelnen Entscheidungsträger (d. h. Zentralbanken, Immigrationsbehörden, NGOs) sich immer mehr den gleichen Herausforderungen gegenübersehen und für den besten Umgang damit ihre Erfahrungen vergleichen sollten.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass kleine Länder ein klareres, deutlicheres Bild der wirtschaftlichen und politischen Probleme bieten, die im System entstehen. Leider werden aber viele Diskussionen zur Weltpolitik von den großen Ländern dominiert. Wir sind der Ansicht, dass kleine Länder ein wichtigerer Teil der globalen Debatte werden müssen. In dieser Hinsicht bieten sich zwei Wege an.
Kleine Länder verlieren an Bedeutung in der EU
Der erste Weg wäre, dass sich bestehende Institutionen und Plattformen bewusst den Einschätzungen der kleinen Länder öffnen. Unser Eindruck ist jedoch, dass sich internationale Institutionen in die entgegengesetzte Richtung bewegen. So hat beispielsweise die Bedeutung der einzelnen kleinen Staaten während der Erweiterung der EU abgenommen und so kamen die Reaktionen auf die Krise in der Eurozone vor allem aus den Hauptstädten der großen Länder. Organisationen wie die OECD und der IWF, die hervorragende wirtschaftliche Arbeit leisten, könnten die Analysen von kleinen Volkswirtschaften zentraler und sinnvoll einbinden.
Der zweite Weg wäre, dass kleine Staaten mehr zur globalen Debatte beitragen, sowohl individuell als auch gemeinsam. Kleine Länder müssen sich organisieren und eine Agenda für die Diskussion und Ergreifung von Maßnahmen bei Institutionen wie der OECD und dem IWF entwickeln. Wichtig dabei ist, dass nicht nur die Regierungen von kleinen Ländern beteiligt sind, sondern auch Thinktanks, Akademiker, Branchenorganisationen usw. aus diesen kleinen Ländern. Das Augenmerk läge auf der Generierung von Ideen, um so eine Marktkonkurrenz zu den großen, derzeit dominierenden Staaten zu schaffen. Die Schweiz ist in der einzigartigen Situation, dass dort viele globale Institutionen angesiedelt sind, und das Land hat eine Reputation für Innovation und Führung in diesem Bereich. Aus diesem Grund würde es sich anbieten, dass die Schweiz eine wichtige Rolle bei der Werbung für die «Stimme der kleinen Länder» spielt.
Quelle: Credit Suisse
Bild: Cegoh / pixabay.com