Der Wohnungsbau steckt trotz hoher Nachfrage in der Krise
Die Wohnungsbaubranche steckt trotz guter Auftragslage in einer schwierigen Situation. Inflation und Zinserhöhungen wirbeln den Markt durcheinander, der zuletzt von Aufschwung geprägt war. Wie das »Statistische Bundesamt« mitteilte, wurde im Juli 2023 der Bau von 21.000 Wohnungen genehmigt. Das entspricht einem Minus von 31,5 Prozent oder 9.600 gegenüber dem Vorjahreswert. In den ersten sieben Monaten des Jahres sank die Zahl damit um 27,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Die Inflation hat die Preise steigen lassen, was dazu führte, dass bereits geplante Projekte nicht beendet werden konnten. Auch die schrittweisen Zinserhöhungen der EZB – zuletzt im September – verschärfen die Situation. Das bekommen derzeit vor allem Bauunternehmen zu spüren. Neben großen Projektentwicklern wie Development Partner, die Project-Gruppe, Euroboden und die Gerchgroup, die Insolvenz anmelden mussten, betrifft das Problem aber vor allem kleinere Bauunternehmen, die Projekte wegen der Kosten nicht beenden können und keine neuen beginnen können. Das zieht auch weitere Kreise zu Zulieferern und weiteren Gewerken.
Im September berichteten 21,4 Prozent der Firmen von abgesagten Projekten, nach 18,9 Prozent im Vormonat. Das geht aus aktuellen Umfragen des ifo Instituts hervor. Einige Betriebe verfügen zwar noch über gut gefüllte Auftragsbücher, allerdings melden bereits 44,2 Prozent der Teilnehmenden einen Auftragsmangel, nach 40,3 Prozent im Juli. Zur gleichen Zeit im Vorjahr lag der Anteil lediglich bei 13,8 Prozent. Für das kommende halbe Jahr befürchten die Unternehmen mehrheitlich weitere Geschäftsrückgänge. Die Geschäftserwartungen notieren mit minus 60,1 Punkten auf einem außergewöhnlich schwachen Niveau, teilt das Institut mit.
Langfristige Folgen
Der Wohnungsneubau wird in den nächsten Jahren erheblich schrumpfen: »Zinsschock und Baupreisexplosion führen zusammen mit der gleichzeitig zusammengestrichenen Förderung dazu, dass kaum noch neue Projekte umgesetzt werden, weil diese finanziell nicht mehr darstellbar sind«, prognostiziert Ludwig Dorffmeister, Fachreferent für Bau- und Immobilienforschung beim ifo Institut. Aus seiner Sicht geht es nicht nur um Inflation und steigende Kosten, sondern auch darum, dass in dieser Situation die regulatorischen Anforderungen die Probleme vergrößern. »Das Grundproblem besteht darin, dass zu viele Akteure auf zu vielen Ebenen mitmischen. Es fehlt der politische Wille, gemeinsam die Probleme zu lösen«, meint er. Es bedürfe mehr, damit die Kosten gesenkt werden können. Zwar hat sich die Bunderegierung mit einem 14 Punkte umfassenden Plan auf Entschärfungen, vor allem bei den Energiestandards geeinigt, doch ob das kurzfristig hilft, vor allem die kleineren Betriebe vor dem Aus zu retten, bleibt abzuwarten. »Wenn man nicht über ein günstig erworbenes Grundstück verfügt, sich außergewöhnlich niedrige Finanzierungskosten gesichert hat oder für eine zahlungswillige Klientel arbeitet, kann man heute kaum noch bauen.«
Ein Ende der Krise sieht Ludwig Dorffmeister nicht. Die Stornierungen seien im Vergleich zu früheren Jahren weiter hoch. Und es kommen aufgrund der derzeitigen Kostensituation immer weniger neue Aufträge rein. »Dem Wohnungsneubau stehen sehr schwierige Zeiten bevor«, sagt Ludwig Dorffmeister, die Insolvenzahlen würden weiter steigen und es sei nicht absehbar, wann sich der Markt wieder dreht. Die erheblich gestiegenen Handwerkerkosten machen auch den Bestandshaltern zu schaffen. Diese können ihre Mieten wegen der gesetzlichen Vorgaben zumeist nicht wesentlich anheben. Damit sinken die finanziellen Spielräume für Sanierungen und es droht langfristig ein Qualitätsverlust, der mit sinkenden Immobilienwerten beziehungsweise Wohnkomfort einhergeht.
Das Besondere an der aktuellen Schieflage beim Wohnungsneubau ist nach Ansicht von Ludwig Dorffmeister, dass diese nicht aufgrund mangelnder Nachfrage entstanden ist, im Gegenteil. »Es gab einen jahrelangen Aufschwung, der durch die inzwischen unzureichende Finanzierbarkeit vieler Vorhaben abgebrochen wurde. Die Politik hat die ungünstigen Entwicklungen bei Zinsen und Baupreisen nicht ausgeglichen, sondern ihre Unterstützung sogar deutlich zurückgefahren. Auch die baulichen Anforderungen wurden nicht reduziert, sondern weiter verschärft.« Die Baubranche hat bis zur Krise gut verdient, aber diese Reserven werden nicht ewig vorhalten. Der ifo Experte sieht langfristig zudem das Problem, dass Arbeitskräfte, die die Baufirmen im Zuge des Markteinbruchs freisetzen müssen, dauerhaft in andere (Industrie-)Branchen abwandern werden. »Die Arbeitskräfte kommen nicht zurück und stehen deshalb für die Umsetzung zukünftiger baulicher Ziele nicht mehr zur Verfügung«, prognostiziert er. Das würde bedeuten, dass das nächste Problem bereits vor der Tür steht.
Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt
Indes würden die Neubau-Preise dem recht deutlichen Preisverfall auf dem Immobilienmarkt bislang trotzen, sagt Jonas Zdrzalek, projektverantwortlicher Wissenschaftler beim German Real Estate Index (Greix) in einer Mitteilung. »Dies könnte daran liegen, dass Verkäufer hier weniger zu Preisabschlägen bereit sind. Auch werden die Verkaufspreise oft lange vor Fertigstellung verhandelt, so dass sich die Zinserhöhungen aktuell womöglich noch gar nicht voll in den Preisen widerspiegeln. Vor allem aber ist das Angebot an Neubauten drastisch gesunken und wenn Projekte umgesetzt werden, dann offenbar hochpreisig.« Der Greix offenbart einen deutlichen Rückgang der Marktaktivität. Im Vergleich zum Boom im Jahr 2021 liegt die Anzahl verkaufter Eigentumswohnungen in den Top-7-Städten (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt a. M., Hamburg, Köln, München, Stuttgart) im Quartalsvergleich derzeit über die Hälfte niedriger. Besonders dramatisch ist die Entwicklung im Neubausektor, wo die Anzahl der Verkäufe um über 80 Prozent abgestürzt ist. Bereits seit 2022 bricht die Anzahl verkaufter Wohnungen über alle Baujahre hinweg regelrecht ein.
MK
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