Buchauszug aus »Die orange Pille« von Ijoma Mangold
These: Wenn Bitcoin sich auf breiter Front durchsetzt oder es gar zu einem Bitcoin-Standard kommt, bei dem die Menschen alle Preise nur noch in Bitcoin berechnen, wird das zur Trennung von Staat und Geld führen. Diese Aussage lässt vielen den Atem stocken, wenn sie nicht gar emotional-aggressive Gegenreaktionen hervorruft: Das sei ja nun der ultimative Beweis für die Staatsfeindlichkeit von Bitcoin!
Ich verstehe diese Reaktion, aber wenn man sich das Verhältnis von Staat und Geld historisch anschaut, wird man feststellen, dass die innige Umarmung dieser beiden durchaus jüngsten Datums ist und ihre Trennung mithin keineswegs einen ungeheuerlichen Zivilisationsbruch darstellen würde, eher schon eine Rückkehr zur Normalität. Wir haben gesehen: Über Jahrhunderte hatte die Menschheit ein rohstoffbasiertes Warengeld, sprich Gold- und Silbermünzen. Die Menge des Goldes und Silbers konnten die Herrschenden nicht kostenfrei vermehren. Natürlich rissen sie das Münzrecht an sich, prägten ihr Antlitz auf die eine Seite der Münze, deren Nominalwert auf die andere und verpflichteten ihre Untertanen, nur die von ihnen emittierten Münzen zu verwenden und sie zum Nennwert zu nehmen – aber wenn sie den Feingehalt ihrer Gold- und Silbermünzen verringerten, konnte jeder die Münze einschmelzen und hatte dann den Marktwert des Materials selbst. Namentlich im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr zählte dabei einzig der echte Feingehalt.
Vorläufer der Fiat-Währungen
Aber noch interessanter: Um nicht der Münzverschlechterung durch den staatlichen Souverän ohnmächtig ausgesetzt zu sein, entwickelte sich von den oberitalienischen Stadtstaaten ausgehend und durch die großen europäischen Handelshäuser vorangetrieben im 14. Jahrhundert ein grenzüberschreitendes Zahlungssystem auf der Basis von Wechseln, das nichts anderes darstellt als privat geschöpftes Geld, Buchgeld im wahrsten Sinne, reine Ledger-Einträge, denominiert in einer eigens geschaffenen Währung, dem Écu du Marc – ein Vorläufer von Bitcoin, nur dass der Écu mangels Proof of Work nicht trustless war, sondern auf dem Vertrauen aufbaute, dass sich die Handelshäuser untereinander entgegenbrachten. So gesehen war dieses Privatgeld alles andere als zensurresistent und inklusiv, aber doch ein erstaunlich wirksames Abwehrmittel gegen staatliche Repression. Auch als das Papiergeld aufkam, lag diesem zunächst physisches Gold zugrunde, und wenn den Staaten nicht durch Handelsüberschüsse mehr Gold zufloss, konnten sie die umlaufende Geldmenge nicht willkürlich erhöhen. Geldpolitisch wirklich freie Hand haben die Staaten erst, seit es Fiat-Währungen gibt. Also seit Nixon 1971 das Goldfenster schloss. Und selbst da könnte man fragen, ob die viel entscheidendere Kenngröße nicht das staatlich emittierte Zentralbankgeld ist, sondern das von den Geschäftsbanken geschöpfte Giralgeld – und das ist zwar staatlich anerkanntes, aber eben doch Privatgeld.
In welchem Verhältnis Staat und Geld stehen, ist auch Gegenstand einer die Zeiten überdauernden wissenschaftlich-weltanschaulichen Kontroverse: Während zum Beispiel die Österreichische Schule Geld als das Ergebnis einer spontanen Ordnungsbildung begreift, gehen die sogenannten Chartalisten von einem staatlichen Initiationsakt aus: Das Geld, so drückte sich der Nationalökonom Georg Friedrich Knapp (1842–1926) aus, sei ein Geschöpf der Rechtsordnung. Die Freunde der Modern Monetary Theory berufen sich gern auf Knapp, denn wenn Geld quasi einen staatlichen Gnadenakt darstellt, dann versteht es sich von selbst, dass der Staat damit umspringen darf, wie es ihm beliebt. Als gesellschaftliches Gut sollte Geld am besten vergesellschaftet werden … Ist aber die geldpolitische Macht der Staaten eigentlich gut für die Demokratie? Ich bezweifle es; tatsächlich nämlich hebelt das Gelddrucken das Budgetrecht des Parlaments aus. Lassen Sie mich das erklären!
Die Macht hat, wer den Preis bestimmt
Das Grundprinzip, durch das in einer Demokratie der Souverän die Regierung kontrolliert, ist die Kontrolle des Haushalts. Das ist der Grund, warum man die Budgethoheit das vornehmste Recht der Parlamente nennt. Regierungen müssen Steuern erheben oder Schulden aufnehmen, um ihre Politik zu finanzieren, wobei Ausgaben wie Einnahmen durch das Parlament verabschiedet werden; wenn Regierungen sich aber vorzüglich durch Schulden refinanzieren, deren Zinssatz künstlich niedrig gehalten wird, weil die Schuldtitel in großem Stil von den Zentralbanken aufgekauft werden, wird diese Haushaltskontrolle zu einem stumpfen Schwert. Die wahren Kosten der ausgabenfreudigen Haushaltspolitik werden dann langfristig in die Abwertung der Währung verschoben – was durch kein Parlament je explizit abgesegnet worden ist. Die Monetarisierung von Schulden ist eine Umgehung der Budgethoheit der Parlamente, genauer: der parlamentarischen Verantwortlichkeit. Worüber die Parlamentarier indes ganz froh sind – ohne sich die Hände schmutzig machen zu müssen, druckt jemand anderes Geld, das sie selber ausgeben dürfen. Dann fühlen sie sich als Master of the Doppelwumms.
Doch in Wahrheit ist die Fiat-Geldpolitik in einem noch umfassenderen Sinn ein Angriff auf demokratische Transparenzgebote: durch die Verzerrung der im Finanzmarkt (wie in allen Märkten) liegenden Information. Schließlich hat immer der Macht über das Geld, der über seinen Preis bestimmt; der Preis des Geldes ist sein Zins; in einer freien Marktwirtschaft sollte sich der Zins am Markt ergeben. Je solider die Finanzen eines Staates sind, desto günstiger kommt dieser an Geld. Der sogenannte Zinsspread, also die Zinsunterschiede, die Staaten zahlen müssen, um Käufer für ihre Anleihen zu finden, ist ein Preissignal, das ausdrückt, für wie solide der Markt die Finanzen der Staaten hält. Als die Staaten indes anfingen, die Geldmenge auszuweiten, wurden sie selbst zu Käufern der Anleihen ihrer Staaten – sie bezahlten sie mit selbst gedrucktem Geld. Mit seinem berühmten »whatever it takes« verkündete die Entschlossenheit der Europäischen Zentralbank, den Euro zu retten, was immer es koste, und die EZB fing an, Staatsanleihen ihrer Mitgliedsländer aufzukaufen. Nun gibt es bei Anleihen die sogenannte Zinswippe: Wenn die Kurse einer Anleihe sinken, steigt ihr Zins, und umgekehrt. Wenn also die Märkte nicht mehr bereit sind, zu einem bestimmten Zins Staatsanleihen zu kaufen, sinkt deren Kurs, bis es wieder Käufer für diese Papiere gibt, und gleichzeitig steigt ihre Verzinsung, denn eine Anleihe, die, sagen wir: einen zehnprozentigen Coupon auf 100 Euro hat, zahlt bis zu ihrer Maturität zehn Euro Zinsen im Jahr. Wird diese Anleihe aber auf dem Sekundärmarkt nur noch für 90 Euro gehandelt, bekommt ihr neuer Halter auf diese 90 Euro immer noch die zehn Prozent Zins des ursprünglichen Anleihewerts von 100 Euro und somit einen höheren Zins. Deswegen war er ja auch bereit, die Anleihe zu kaufen, denn für zehn Prozent Zinsen war ihm das Risiko offensichtlich noch zu hoch gewesen.
Die Entscheidung Draghis aber bedeutete: Wenn die Kurse am Anleihemarkt zu fallen drohten (und die Zinsen demnach stiegen), sprang die Zentralbank als Käufer ein. Sie stabilisierte die Kurse, indem sie für zusätzliche Nachfrage sorgte, und drückte damit das Zinsniveau, was die Staaten freute, denn Staaten müssen sich fortlaufend refinanzieren, und bei höheren Zinsen könnten sie rasch ihre Schuldentragfähigkeit verlieren. Gleichzeitig jedoch ist der Zins nun kein Marktzins mehr – die Politik der Notenbanken hat ihn manipuliert. Und wenn der Zins eine Information über die finanzielle Solidität des Schuldners ist, wird diese Information hier verfälscht. Ebendarin liegt ja die Macht der Notenbanken: Sie verfälschen Preissignale, mithin die vermutlich wichtigste und eleganteste Eigenschaft von freien Märkten, und die entscheidende Information, die wir von ihnen erwarten. Aus diesem Grund spricht man an der Wall Street in Analogie zum Bird Watching mittlerweile vom Fed Watching: Die Marktteilnehmer analysieren nicht mehr Unternehmen, um sich ein Urteil über deren Produktivität zu bilden, sondern folgen in ihren Investitionsentscheidungen den Signalen, die die Fed aussendet, weil es deren Geldpolitik ist, die die Märkte befeuert und alles nach oben treibt, was im Wasser schaukelt.
Einschränkung von Macht
Die Trennung von Staat und Geld wäre demnach zumindest eine Klärung der Marktinformation und eine Einhegung von Macht. Als solche würde sie sich in die Geschichte der Gewaltenteilung einfügen, die einst im europäischen Mittelalter mit der Trennung von Thron und Altar begann, um sich später in der Trennung von Staat und Religion fortzusetzen. Sie würde die Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat stärken und zugleich die Checks and Balances unseres Verfassungsmobiles erhöhen. Zugegeben jedoch: Der Übergang wäre, wie alle Übergänge, schwierig. Auch die Trennung von Staat und Kirche empfanden viele Zeitgenossen seinerzeit als Bedrohung; sie hielten es für brandgefährlich, eine so wesentliche Frage wie die des Seelenheils nicht durch das Machtkartell von Staat und Kirche verwaltet zu sehen. Besorgt fragten sie: Wo soll das nur hinführen, wenn die Kirche und ihr Gnadenschatz ohne den Schutz des Staates auskommen müssen? Die Leute werden bestimmt sündigen, bis der Arzt kommt! Tatsächlich sehen wir das heute anders. Wir sind nicht bloß überzeugt, dass der Staat in Fragen unserer überpolitischen Orientierungen kein Wort mitzureden hat, wir meinen auch, dass es um die Reinheit der Religion besser steht, wenn Kirche und Staat durch eine Brandmauer getrennt sind; Staatsnähe, glauben wir, korrumpiert den Glauben, und die Freiheit eines Christenmenschen kann durch eine allzu enge Allianz von Staat und Kirche nur Schaden nehmen. Sollte es also nicht auch für Staat und Geld besser sein, wenn sie sich nicht allzu undurchsichtig durchdringen?
Der nordamerikanische Investor und Bitcoin-Philosoph Allen Farrington hat in seinen Essays über diese Frage nachgedacht und ist dabei zu einem interessanten Schluss gekommen: Natürlich könne man mit Geld Macht kaufen; diese Verknüpfung aufzulösen wäre rein utopisch. Aber unter einem Bitcoin-Standard könnte sich die Macht zumindest nicht immer noch mehr Geld kaufen, wodurch die Währung wieder zu einem neutralen Wertmaßstab würde, einem Mittel, um über faire Preissignale berechenbar Handel mit anderen zu treiben.
Auch Friedrich von Hayek sprach 1976 in einem berühmten Aufsatz von der »Entnationalisierung des Geldes« und träumte von einem freien Währungswettbewerb. 1984 griff er den Gedanken in einem Interview wieder auf: »Ich glaube ja«, sagte er dort mit spitzbübischer Bonhomie, »dass wir nicht eher wieder ein gutes Geld bekommen, als wir den Regierungen die Sache aus der Hand nehmen, das heißt: Mit Gewalt wird’s nicht gehen, und darum ist alles, was wir tun können, dass wir durch irgendwelche Schliche und Umwege etwas Neues erfinden, dessen Entwicklung sie dann nicht mehr aufhalten können.« Wie könnte man Satoshi Nakamotos Coup spieltheoretisch besser umschreiben denn als »some sly roundabout way«?
Diesen Buchauszug und weitere spannende Themen finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Sachwert Magazin ePapers Ausgabe 128 -> LINK