Als am 7. Juli die Glocke für den Börsengang Nuceras läutete, war man sich beim Mutterkonzern Thyssenkrupp einig: Mit Wasserstoff werde der Weg in eine klimaneutrale Zukunft geebnet; davon, eine »neue Ära nachhaltiger Energienutzung« mitzugestalten, war die Rede. Auch jetzt – einen Monat nach dem Börsengang – zeigen sich die Anleger der Aktie optimistisch. Das kleinste chemische Element – es scheint sich hierzulande also zunächst einmal seinen Ruf als Energieträger der Zukunft gesichert haben, selbst wenn die Börsenkurse bekannter Wasserstoff-Aktien aus den USA und Kanada unlängst zu bröckeln begannen. Und doch gibt es sowohl an der Nachhaltigkeit als auch an der Praktikabilität des neuen Rohstoffs bereits seit einiger Zeit Zweifel: Zu teuer, zu energieintensiv und nicht zuletzt zu wenig effizient – so lauten die gängigen Argumente gegen Wasserstoff als zukünftigen Energieträger. Und auch das Interesse potenzieller Kunden an der neuen Technologie scheint zunächst verhalten zu sein: In der Automobilbranche etwa wurden von Januar bis Mai 2023 lediglich 168 Neuzulassungen von wasserstoffbetriebenen Pkw verzeichnet; mit 184.000 Neuzulassungen im gleichen Zeitraum setzte man hier vor allem auf batteriebetriebene Elektromobilität– so das Fazit eines kürzlich erschienenen Berichts in der »Welt«. Wie aussichtsreich ist es angesichts dieser Zahlen also tatsächlich, in Wasserstoff zu investieren?
Der Mythos vom klimaneutralen Energieträger
»Investitionen in Wasserstoff sind eine Investition in unsere Zukunft. In Klimaschutz, in qualifizierte Arbeitsplätze und die Energieversorgungssicherheit«, erklärte erst im Juli Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck anlässlich der Vorstellung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Deutschland ist, einer »Statista«-Umfrage aus dem Jahr 2020 zufolge, wohl das Land mit den größten Produktionskapazitäten von Wasserstoff in Europa, könnten doch allein hierzulande 2,09 Tonnen Wasserstoff jährlich produziert werden. Doch nicht nur in Deutschland, auch in Staaten wie der Schweiz, in Österreich, den Niederlanden, Frankreich und Belgien hat man sich von Regierungsseite aus dazu entschieden, den Ausbau der Technologie zu fördern. Ohne H² sei schließlich keine Energiewende denkbar – so lautet das Hauptargument, das von vielen Experten, Politikern und Unternehmern gleichermaßen vertreten wird. Gemeint ist damit allerdings nur eine Form des Wasserstoffs, die des »grünen Wasserstoffs« nämlich, also diejenige, die mittels anderer erneuerbarer Energien gewonnen wird. Denn um das Gas zu erzeugen, bedarf es eines Elektrolyseverfahrens und das wiederum benötigt – neben dem immer knapper werdenden Rohstoff Wasser – auch einen hohen Energieaufwand. Solche Mengen lediglich aus Wind- und Solaranlagen zu gewinnen, stuft der österreichische Wissenschaftspublizist, Buchautor und Physiker Dr. Florian Aigner derzeit allerdings als »unrealistisch« ein. »Die Frage ist: Haben wir genug alternative Energien, um das nachhaltig werden zu lassen? Da muss man vorsichtig sein«, erklärt er im Gespräch mit dem Think Tank »Moment«.
Energie dank H² – Zukunftsmusik seit 150 Jahren
Doch selbst, wenn man von den Bedenken hinsichtlich der Klimafreundlichkeit absieht, gibt es Gründe, warum Wasserstoff bislang nicht großflächig zur Energieversorgung eingesetzt wird, sich also noch nicht zur »Kohle der Zukunft« gemausert hat, wie es Jules Verne bereits im Jahr 1874 prognostizierte: Denn unter Ökonomen ist der Kraftstoff aufgrund seiner hohen Produktionskosten als »Champagner unter den Energieträgern« bekannt, also als eine teure Angelegenheit, die allenfalls sparsam eingesetzt werden könne. In der Bevölkerung wiederum haben Ereignisse wie die Explosion des mit Wasserstoff gefüllten Zeppelins »Hindenburg« dazu geführt, dass der Treibstoff mit Skepsis betrachtet wird – ein Vorbehalt, dem der Chemiker und »Wasserstoff-Papst« Robert Schlögl widerspricht: »Ich sehe jetzt keine spezifische Wasserstoff-Gefährlichkeit, die über die anderer Energieträger hinausgeht. Ich betone aber: Die technologischen Voraussetzungen dafür, den Wasserstoff sicher zu handhaben, sind erheblich und sind auch erheblich größer, als wenn man flüssige Energieträger verwendet«, sagte er vor etwa einem Jahr gegenüber dem »MDR«. Seine Argumentation ändert freilich nichts an dem Umstand, dass bisher das eher verhaltene Interesse am Ausbau der Wasserstofftechnologie die Innovationskraft erheblich bremste. Auch weitere Faktoren, wie etwa der in Deutschland allgegenwärtige Fachkräftemangel, trugen dazu bei, dass bislang weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine Infrastruktur geschaffen wurde – und konkrete Erfahrungswerte zu den Möglichkeiten und Grenzen des neuen Kraftstoffs somit fast kaum vorhanden sind.
Wasserstoff: Investition mit Potenzial für Zukunft und Gegenwart
»Fuel cells = fool cells« twitterte Elon Musk noch im Juni 2020 und implizierte damit: Wer an die Zukunftsfähigkeit von Wasserstoff glaube, sei ein Dummkopf – eine Einschätzung, die bis vor kurzem sicherlich noch den Zeitgeist traf, galt Wasserstoff doch als eine zwar theoretische, aber gleichzeitig wenig greifbare Option, die im direkten Vergleich zum Elektroantrieb den Kürzeren zu ziehen schien. Bezogen auf die Automobilbranche mag diese Vorstellung tatsächlich bis heute ihre Berechtigung haben – »das Elektroauto gibt es ja schon«, konstatiert etwa Dr. Aigner. Das Potenzial von Wasserstoff sehe er allerdings Flugzeugen oder Lkws – bei Transportmitteln also, die eine lange Strecken zurücklegen müssten und somit eine äußerst große Batterie benötigten. Die Möglichkeiten der Wasserstofftechnologie gehen jedoch weit über ihre Verwendung als Kraftstoff hinaus, verfügt sie doch über ein hohes industrielles Potenzial – das zwar noch lange nicht ausgeschöpft ist, jedoch sehr wohl bereits jetzt zur Anwendung kommt. Schon heute wird Wasserstoff nämlich als Kühlmittel oder bei der Düngemittelproduktion eingesetzt. Wer also in das Element investiert, der hofft vielleicht auf seine zunehmende Bedeutung, setzt aber mitnichten auf eine reine Zukunftstechnologie. Für die Aufbruchstimmung, die jetzt bei den Investoren herrscht, sind allerdings nicht die aktuellen Gegebenheiten ausschlaggebend: denn die Hoffnung, die derzeit in Wasserstoff als Kraftstoff gesetzt wird, speist sich vor allem aus der Erkenntnis, dass der Zugang zu fossilen Energien immer mehr erschwert wird – sei es dadurch, dass Ressourcen wie Öl oder Erdgas bald erschöpft sein könnten oder dass geopolitische Konflikte wie der Russland-Ukraine-Krieg eine Nutzung unmöglich machen. Wasserstoff scheint hier die einzige realistische Option zu sein, einer zukünftigen Energiekrise zu entgehen, die Aussicht darauf, völlig neue Geschäftsfelder zu erschließen, lockt – kurzum: Es macht sich eine Goldgräberstimmung breit und Möglichkeiten, sich hieran zu beteiligen, gibt es zahlreiche. Wer vom Trend profitieren möchte, kann etwa sowohl in einzelne Aktien als auch in ETF investieren. Ob sich Wasserstoff allerdings tatsächlich zum »gigantischsten Geschäft des 21. Jahrhunderts« entwickeln wird, wie Schlögl prognostiziert, wird die Zeit zeigen.
AS
Den Beitrag »Der Wasserstoff-Hype – Warum das Investment wagen?« und weitere spannende Texte lesen Sie im aktuellen Sachwert Magazin ePaper Ausgabe 129 –> LINK