Die Inflationsrate in Deutschland lag laut Statistischem Bundesamt im April bei 7,4 Prozent. Nicht nur Privathaushalte, auch Unternehmen haben mit den steigenden Preisen für Rohstoffe und vor allem für Energie zu kämpfen. Möglichkeiten, diese Krise politisch zu regulieren, sieht Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, nicht. »Gegen eine Inflation, die von außen kommt und nicht hausgemacht ist, kann die Politik nichts machen«, sagte er im Interview mit Börsenkorrespondent Mick Knauff. Gegen steigende Preise, Lieferengpässe in der Industrie oder Staus in den Häfen von Shanghai oder Hamburg seien sowohl die Politik als auch die Europäische Zentralbank (EZB) machtlos. Er halte auch nichts davon, wie von einigen Verbänden gefordert, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel wie Gemüse oder Hülsenfrüchte auszusetzen, um dadurch Bürger zu entlasten, die wenig verdienen. Besser sei es, punktuell zu unterstützen, etwa durch Erhöhung von Sozialleistungen, oder wie eben von der Regierung kürzlich beschlossen, mit einem Steuerentlastungspaket.
Den Ruf nach Sanktionen gegen Deutschland, weil Deutschland immer noch Gas und Öl aus Russland beziehe und so Euros nach Russland bringe, könne man vernachlässigen, meint Schmieding. Aber tatsächlich sei ein mögliches Gas-Embargo ein Punkt, den man politisch gut abwägen müsse.
»Wir können sagen: Ja, wir wollen ein ganz hartes Vorgehen gegen Russland. Aber ein sofortiges Gas-Embargo hieße wahrscheinlich Rezession. Das hieße nicht, dass es den Bürgern schlechter gehen müsste, sondern dass der Staat viel Geld in die Hand nehmen müsste, um die Bürger zu entlasten, zum Beispiel durch Wohngeld oder Sozialhilfe.« Außerdem müsste der Staat Unternehmen retten, die nicht die Menge an Energie bekämen, die sie benötigten. »Als Ökonom sage ich, es ist schwierig. Ein Embargo wäre teuer und wir müssen uns politisch entscheiden, ob es uns das angesichts dieses brutalen Krieges wert ist.« Bislang seien die Sanktionen, besonders die Finanzsanktionen, so gewählt, dass sie vor allem Russland träfen. »Ein sofortiges Gas-Embargo würde uns aber wie ein Bumerang selbst treffen«, meint Schmieding. Öl, das überwiegend nicht an Pipelines gebunden sei, könne aus anderen Quellen bezogen werden, wenn auch teurer. Beim Gas sei das eher schwierig, deshalb müsse man auch hier sehr genau den politischen Nutzen abwägen, auch außenpolitisch: »Bringt es uns etwas, wenn Deutschland von außen ausnahmsweise mal nicht als Bremse wahrgenommen wird?«
Einige Länder sind bereits auf der Suche nach neuen Energie-Lieferanten. Italien beispielsweise lässt sich Gas künftig von Katar und aus dem Kongo liefern und auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Lage in Katar zumindest sondiert. Doch von diesem Vorgehen hält Dr. Holger Schmieding nichts. »Ich würde davon abraten, dass jedes europäische Land die ganze Welt abklappert. Wir haben in Europa einen Energie-Verbund und wir haben Pipelines, die uns miteinander verbinden. Wir könnten Flüssiggas also gar nicht bei uns anlanden können.« Es sei eine klare Aufgabe der Regierungen, die EU-Kommission dabei zu stützen, Energie auf dem Weltmarkt zu besorgen und Infrastrukturen für die Lieferung zu schaffen, ebenso müssten Notfallpläne her: »Was ist in einem Notfall zu tun? Wen kann man abschalten, ohne wichtige Lieferketten zu durchbrechen?«
Im Allgemeinen schätzt er, dass die deutsche Wirtschaft in Kürze wieder Tritt fassen könne, wann genau, sei natürlich nicht vorherzusagen. »Das hängt davon ab, was mit den Sanktionen passiert. Ein Gas-Embargo hieße nun einmal zunächst Rezession. Wenn nicht, müssen wir uns an die schlimme Lage gewöhnen, an diesen brutalen Krieg. Die Energiepreise sind derzeit hoch, sie steigen aber nicht mehr. Wir werden uns daran gewöhnen, die Menschen werden wieder mehr Geld ausgeben und ihren Urlaub in diesem Jahr nicht absagen.« Hinzu komme, dass auch der Hafen in Shanghai nicht auf Dauer geschlossen bleiben könne. »Mein Ausblick ist schon, dass wir ab Sommer wieder ein nennenswertes Wachstum bekommen, wenn nicht wieder ein neuer Schock wie eben ein Gas-Embargo oder noch schlimmere Corona-Folgen in China dazwischenkommen.«
Anlegern rät er in diesen Zeiten zu Sachwerten. Zwar seien Sachwerte auch Aktien und hätten damit noch unruhige Zeiten vor sich, aber sie hätten über ein halbes oder ganzes Jahr gesehen Potenzial nach oben. »Wir haben das schon oft gesehen, eine Krise bricht auf uns ein, die Märkte gehen erstmal in die Knie, aber wenn wir dann wissen, wie es sich weiterentwickelt, streben die Aktienmärkte auch wieder nach oben.«