Prof. Dr. Thorsten Polleit |
Die europäische Wirtschaft schwächelt. Die EZB wird bald ein neues Kapitel
aufschlagen – und den Euro-Außenwert abwerten.
Die Wirtschaftserholung im Euroraum verläuft schleppend. Seit Anfang 2010 betrug das durchschnittliche Jahreswachstum des Bruttoinlandsproduktes nur 0,7 Prozent. Die Investitionen lahmen, sie liegen nach wie vor 16 Prozent unter Vorkrisenniveau. Es herrscht Massenarbeitslosigkeit. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei über 11 Prozent, die „echte“ vermutlich deutlich darüber. Die Jugendarbeitslosenquote beträgt knapp 22 Prozent. Jetzt scheint die Euroraum-Konjunktur sogar noch Gegenwind zu bekommen. Mit der chinesischen Konjunktur geht es abwärts, viele aufstrebende Volkswirtschaften sind ins Trudeln geraten. Dass China im August den Renminbi-Außenwert abgewertet hat, kommt einer Zäsur gleich. Wertet das Reich der Mitte weiter ab, wird das weitreichende Folgen für die internationale Arbeitsteilung und den Handel haben. Andere asiatische Währungen könnten dem Beispiel Chinas folgen und ebenfalls abwerten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Negative Folgen für die Euroraum-Konjunktur wären nicht auszuschließen. In der Euro-Geldpolitik könnte daher schon bald ein neues Kapitel aufgeschlagen werden: Erstmalig seit der Einführung der Einheitswährung zu Beginn des Jahres 1999 macht die EZB sich daran, den Euro-Wechselkurs gezielt zu schwächen. Aus Sicht des EZB-Rates ließen sich damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Der Außenhandel würde unterstützt, das Wirtschaftswachstum im Euroraum belebt. Zudem würden die Importgüter verteuert, und das wirkt der angeblich zu „niedrigen Inflation“ im Euroraum entgegen. Wie aber lässt sich der Wechselkurs der eigenen Währung abwerten?
Dazu muss die EZB die monetären Verhältnisse im Euroraum verschlechtern im Vergleich zu denen im Ausland. Beispielsweise indem sie die Zinsen absenkt. Oder indem sie die heimische Geldmenge stärker ausweitet, als die Geldmenge im Ausland anwächst. Die EZB kann beispielsweise den Einlagenzins für Banken, der aktuell bei minus 0,2 Prozentpunkten liegt, reduzieren. Das verstärkt den Druck auf die Euro-Banken, ihre Überschussreserven einzusetzen, um Kredite zu vergeben oder Wertpapiere zu monetisieren. Die Geldmengenvermehrung durch die Banken lässt sich noch verstärken, wenn die EZB ihren Leitzins, der derzeit bei 0,05 Prozent liegt, in den Negativbereich senkt – wie es beispielsweise Schweden seit Februar 2015 praktiziert. Die absurde Situation entstünde, dass Banken Gewinne machen, wenn sie sich bei der EZB verschulden. Es wäre vor allem aber eine Einladung an potente Finanzmarktakteure wie zum Beispiel Hedge Funds, sich kräftig in Euro zu verschulden und damit Euro-Abwertungswetten („Carry Trades“) zu finanzieren. Ein nahezu sicheres Mittel, den Außenwert des Euro absinken zu lassen. Und dann ist da noch das Anleiheaufkaufprogramm der EZB.
Mit ihm soll die Euro-(Basis-)Geldmenge bis Herbst 2016 um 1,14 Billionen Euro ausgeweitet werden. Die EZB kauft Anleihen und bezahlt mit neu geschaffenen Euro. Der Anleiheaufkauf senkt nicht nur die Zinsen, sondern weitet auch die umlaufende Geldmenge aus. Wenn die EZB den Banken Anleihen abkauft, steigt „nur“ die Basis-Geldmenge im Euro-Bankensektor. Kauft sie von Nichtbanken (wie Versicherungen und Pensionsfonds), steigt auch die nachfragerelevante Geldmenge M3 an.
Wenn das nicht reicht, um den Euro-Außenwert in die Knie zu zwingen, kann die EZB noch mehr Euro-Anleihen kaufen. Sie kann aber auch Fremdwährungsanleihen erwerben, wie zum Beispiel US-Staatsanleihen. Dazu schafft sie neue Euro „aus dem Nichts“, tauscht sie am Devisenmarkt gegen US-Dollar und erwirbt damit amerikanische Schuldpapiere. Der Kauf von Fremdwährungsschulden wäre vermutlich das stärkste Signal, dass die EZB setzen kann, um den Euro-Außenwert herabzusetzen. Wenngleich technisch machbar, so ist der Erfolg einer Abwertungspolitik jedoch mit vielen Fragezeichen zu versehen. Durch eine Abwertung kann die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure erhöht und der heimischen Wirtschaft ein Schub verliehen werden, zumindest kurzfristig. Dem stehen erhebliche Nachteile gegenüber, die früher oder später in Erscheinung treten. Die Importgüter verteuern sich, die zur Erstellung der Exportgüter aufgewendet werden müssen (zum Beispiel Vor- und Zwischenprodukte) und schmälern die Unternehmensgewinne. Der Erwerb von Produktionsstätten im
Ausland wird teurer und verschlechtert die Marktstellung heimischer Produzenten. Auch sinkt bei einer Euro-Wechselkursschwächung der Anreiz für die Unternehmen, Produktivitätsfortschritte zu machen und in neue, innovative Industrie- und Produktionszweige vorzustoßen. Die heimische Wirtschaft fällt im internationalen Wettbewerb zurück. Für die Konsumenten werden die Güter, die sie aus dem Ausland beziehen – wie Energie, Nahrungsmittel und Urlaubsreisen, aber vor allem auch Computer und IT-Technologie – teurer. Eine Wechselkursabwertung hat für sie die gleiche Wirkung wie ein Ansteigen der Inflation: Die Kaufkraft des Geldes nimmt ab. Lässt die Dynamik im Unternehmenssektor nach, werden sich das Arbeitsplatzangebot verschlechtern und die künftigen Lohnsteigerungen dürftiger ausfallen.
Die geldpolitischen Manöver der Zentralbanken können nur den nominalen Wechselkurs beeinflussen, nicht aber den realen. Eine geldpolitisch betriebene Abwertung kann daher die Konjunktur auch nicht dauerhaft beleben. Eine Abwertungspolitik ist ein Spiel mit vielen Unbekannten. Die Wechselkurse werden fortan aufgrund von politischen Motiven beeinflusst, und man weiß dabei nicht, wo denn der „richtige“ Wechselkurs eigentlich liegt. Willkürliche Eingriffe in den Devisenmarkt erhöhen die Unsicherheit auf den Devisenmärkten, befördern die Schwankung der Wechselkurse und beeinträchtigen den internationalen Handel. Zudem ist damit zu rechnen, dass Maßnahmen, den Wechselkurs der eigenen Währung abzuwerten, Gegenreaktionen provozieren. Der Abwertungswettlauf
kommt in Gang. Die Zentralbank, die am rigorosesten die heimischen monetären Verhältnisse verschlechtert, wird dabei den Sieg davontragen: Wer die eigene Geldmenge am stärksten ausweitet, wertet den Wechselkurs seiner Währung ab.
Wird die Abwertungspolitik auf den Finanzmärkten als Versuch verstanden, um zu inflationieren, kann die Lage brenzlig werden. Das Vertrauen in den Wert des Geldes schwindet. Die Kreditkosten steigen, Investitionen gehen zurück, die Konjunktur bricht ein. Ist das Vertrauen in die Währung erst einmal beschädigt, kann es nur mit hohen Kosten wiedergewonnen werden: einer „Stabilisierungsrezession“.
Es ist wohl nicht die Zeit, in der Bedenken über geldpolitische Langfristschäden Gehör zu finden scheinen. Die Volkswirtschaften bangen um ihr Wachstum, man hat Sorge vor zu niedriger Inflation, und gleichzeitig ist der Glaube an die geldpolitische Machbarkeit des Gewünschten wieder da. Unter diesen Bedingungen gewinnt der weltweite Abwertungswettbewerb an Fahrt. Es wäre überraschend, wenn die EZB nicht hineingerissen wird.
Von Prof. Dr. Thorsten Polleit
Chefvolkswirt Degussa Goldhandel