In unsicheren Zeiten flüchten Anleger weltweit in Gold als sicheren Hafen. Einige Regierungen stören sich jedoch daran, dass ihre Bürger Gold horten, anstatt ihr Geld auf Bankkonten einzuzahlen. Grosse Goldimporte können sich negativ auf die Leistungsbilanz eines Landes – die Differenz von Export- und Importwert – auswirken. Darüber hinaus bedeuten umfangreiche Investitionen in physisches Gold, dass grosse Vermögensbestände gebunden sind und nicht der Wirtschaft zugeführt werden. Zudem können in Ländern, in denen Gold eine beliebte Anlageform darstellt, Finanzinstitute, die über grosse Goldeinlagen verfügen, Bargeld gegen Gold leihen oder verzinste Gold-Sparkonten anbieten, ein Risiko für das Finanzsystem darstellen, wenn sich die Rohstoffpreise plötzlich ändern.
Die Regierungen von Indien, dem weltweit grössten Goldimporteur, und Vietnam, einem Land, das im Jahr 2011 95 Prozent seines Goldverbrauchs importiert hat, haben im vergangenen Jahr Massnahmen ergriffen, um der enormen Goldnachfrage in ihren Ländern entgegenzuwirken. Die indische Regierung verdoppelte im März die Importzölle auf Goldbarren auf vier Prozent und kündigte jüngst angesichts des rekordhohen Leistungsbilanzdefizits eine weitere Erhöhung auf sechs Prozent an.
Steuererhöhung zur Reduzierung der Goldnachfrage?
„Es ist schwierig, die Auswirkungen (von Steuern) auf das Leistungsbilanzdefizit zu ermitteln“, sagte der indische Wirtschaftsminister Arvind Mayaram nach Angaben von Reuters. „Die Nachfrage nach Gold wird sich jedoch etwas abschwächen.“ Obgleich die Analysten der Credit Suisse argumentieren, dass höhere Abgaben zu einem Rückgang der Importnachfrage von bis zu zehn Prozent führen könnten, sind sie auch der Auffassung, dass die Stabilität der indischen Wirtschaft und die Stärke der Rupie dieses Jahr wahrscheinlich eine grössere Rolle für die Goldnachfrage der Bevölkerung spielen werden. Die indischen Goldimporte scheinen ohnehin bereits zurückgegangen zu sein. Nach mehreren Jahren steigender Nachfrage beliefen sich die Goldimporte zwischen April und Oktober 2012 auf 398 Tonnen, gegenüber 589 Tonnen im Vorjahreszeitraum, wie aus einem Bericht der indischen Zentralbank vom letzten Monat hervorgeht. Analysten der Credit Suisse haben vor Kurzem in einem Bericht prognostiziert, dass die Nettoimporte wahrscheinlich über das Gesamtjahr 2012 betrachtet auf 800 Tonnen zurückgegangen sind. 2011 lagen die Goldimporte noch bei ca. 970 Tonnen. Die Analysten weisen jedoch auch darauf hin, dass sich nur schwer sagen lässt, inwieweit der Nachfragerückgang auf Steuererhöhungen zurückzuführen ist, da die indische Rupie im Jahresverlauf an Wert verloren hat.
Gold ist in Indien besonders bei Bevölkerungsgruppen mit niedrigerem Einkommen beliebt und tief in der indischen Kultur verwurzelt: Es erfreut sich insbesondere bei Hochzeiten grosser Beliebtheit. In diesem Jahr gibt es mehr Tage, die sich für eine Hochzeit eignen, als 2012. Ausserdem stehen 2014 die nationalen Wahlen an, argumentierte Tom Kendall, Leiter Precious Metals Research bei der Credit Suisse, jüngst in einem Bericht. Diese Faktoren könnten es indischen Politikern erschweren, weitere Steuererhöhungen einzuführen.
Eine solide Investition
Die Ergreifung von Massnahmen gegen Goldanlagen gestaltet sich auch aus anderen Gründen schwierig. Goldinvestitionen in Rupien haben in den vergangenen zehn Jahren angesichts einer Wertsteigerung von 477 Prozent eine gute Entwicklung verzeichnet, während der Aktienindex S&P Nifty 50 im selben Zeitraum nur um 425 Prozent zulegte. Niedrige Zinsen und einfacher Zugang machen Gold im Vergleich zu anderen Finanzanlagen attraktiv, so Kendall. „Für einen erheblichen Teil der (indischen) Bevölkerung ist es nach wie vor einfacher, Goldschmuck zu kaufen, als ein einfaches Bankkonto zu eröffnen“, schreibt er. „Es ist bezeichnend, dass eine vor Kurzem gestartete Initiative des World Gold Council zur Vermarktung von Goldmünzen mit 24 Karat in ländlichen Gemeinden in Zusammenarbeit mit der indischen Post und nicht mit einer Bank erfolgte.“
Viele Inder investieren in Gold, um sich gegen Inflationsrisiken abzusichern. Eine von der indischen Zentralbank einberufene Arbeitsgruppe plädierte jedoch jüngst für alternative Anlageprodukte, die mit Blick auf die Inflationsabsicherung für die breite Bevölkerung eine Alternative zu Gold darstellen könnten. Sparkonten, Anleihen und Zertifikate, die dem Inhaber einen Anspruch auf physisches Gold gewähren, könnten dazu beitragen, die Nachfrage zu reduzieren und dem indischen Bankensystem innerhalb kurzer Zeit mehr Barmittel zuzuführen, erläuterte die Gruppe. Neben der Anhebung der Importzölle hat die indische Regierung vor Kurzem neue Bestimmungen angekündigt, die die Eröffnung von Gold-Sparkonten erleichtern sollen.
Goldpreise erreichen Rekordstand in Vietnam
Die vietnamesische Regierung versucht, einem ähnlichen Problem durch aggressive Intervention auf dem lokalen Goldmarkt zu begegnen. Über 31 Prozent der vietnamesischen Haushalte verfügen über Goldanlagen. Dies geht aus einer Studie eines Finanzausschusses der Regierung hervor, die in einem vor Kurzem verfassten Bericht der Credit Suisse zitiert wurde. Hohe Inflation und eine Schwäche der vietnamesischen Währung haben dazu geführt, dass vietnamesische Anleger noch stärker geneigt sind, in Gold zu investieren. Die vietnamesische Regierung hat Massnahmen ergriffen, um die resultierende Differenz zwischen lokalen und internationalen Goldpreisen zu reduzieren. Nach einer vorübergehenden Ausserkraftsetzung von verzinsten Gold-Sparkonten und -Zertifikaten im Jahr 2011 hat die Regierung Banken und Kreditinstitute aufgefordert, Goldeinlagen und -kredite endgültig einzustellen. Die Regierung hat zudem die grösste Goldraffinerie des Landes übernommen, und die vietnamesische Zentralbank führt neue Lizenzen ein, die Trader hinsichtlich des Kaufs und Verkaufs von Goldbarren strengen Anforderungen unterwerfen.
Letztendlich vollziehen sowohl Vietnam als auch Indien in Zeiten hoher Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit eine Gratwanderung bei dem Versuch, der Goldnachfrage in der Bevölkerung entgegenzuwirken und gleichzeitig die Förderung eines Schwarzmarkts zu verhindern. „Wie im Falle von Indien wird sich die Regierung hüten, den Untergrund-Goldhandel zu fördern“, schrieb Ric Deverell, Leiter Commodities Research bei der Credit Suisse, jüngst in einem Research-Bericht. „Gold als überaus portable und hochwertige Vermögensanlage ist heute genauso relevant, wie es immer gewesen ist.“
Quelle: Credit Suisse News & Expertise
Bild: Klaus Steves pixelio.de