Sachwerte-Magazin: „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“. Wie begründen Sie das?
Dr. Dr. Zitelmann: In den vergangenen drei Jahrzehnten hat der Kapitalismus wieder seine Kraft bewiesen. Niemals in der Geschichte ist die weltweite Armut so rasch und so stark zurückgegangen. Und das dank der kapitalistischen Globalisierung. Ein Beispiel: In China, wo noch Ende der 50er-Jahre 45 Millionen Menschen als Folge von Maos sozialistischem Experiment („Großer Sprung nach vorne“) verhungerten, sind seit dem Beginn der marktwirtschaftlichen Reformen Hunderte Millionen Menschen aus der Armut in die Mittelschicht aufgestiegen. Die Staatswirtschaft spielt zwar in China immer noch eine große Rolle, wurde jedoch Stück für Stück zurückgedrängt: In dem Maße, in dem den freien Marktkräften und privaten Unternehmen in China mehr Raum gegeben wurde, gingen Hunger und Armut zurück. Ich zeige diese Entwicklung im Detail im ersten Kapitel.
Sachwerte-Magazin: Dennoch übt der Sozialismus immer wieder eine ungeheure Faszination auf viele Menschen aus, vor allem auf Intellektuelle.
Dr. Dr. Zitelmann. Ja, Venezuela ist das letzte Beispiel. Ein Kapitel meines Buches bringt einen Vergleich zwischen dem sehr kapitalistischen Chile und dem sozialistischen Venezuela. Das Ergebnis des Versuchs von Hugo Chávez, den „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ zu etablieren, war genauso katastrophal wie sämtliche sozialistischen Experimente in den vergangenen Hundert Jahren. Sie scheiterten alle – ohne Ausnahme. Das trifft, wie ich in dem Buch ausführlich darstelle, nicht nur für die kommunistischen Systeme zu, sondern auch für den „demokratischen Sozialismus“, wie er in den 70er-Jahren etwa in Großbritannien oder Schweden praktiziert wurde.
Sachwerte-Magazin: Warum haben Sie das Buch gerade jetzt geschrieben?
Dr. Dr. Zitelmann: Unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der sozialistischen Systeme Ende der 80er-Jahre war für viele Menschen weltweit die Überlegenheit des Kapitalismus offensichtlich. Dennoch haben sich antikapitalistische Ressentiments gehalten, die seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 wieder erheblich an Zustimmung gewonnen haben. Politik, Medien und Intellektuelle sind sich in der Deutung dieser Krise weitgehend einig: Der Markt habe versagt, wir bräuchten deshalb mehr Staat.
Sachwerte-Magazin: Ist die Finanzkrise kein Beispiel für Schwächen des Kapitalismus?
Dr. Dr. Zitelmann: Nein, tatsächlich ist die Finanzkrise keineswegs ein Ergebnis von Deregulierung und „Marktversagen“, wie es immer wieder heißt, sondern von Staatseingriffen. Eine Ursache für die amerikanische Hauspreisblase, die zur Finanzkrise führte, war, dass Banken „subprime loans“ an Hauskäufer vergaben, denen man wegen ihrer schlechten Bonität eigentlich keinen Kredit hätte geben dürfen. Das war jedoch politisch so gewollt, durch den Gesetzgeber erzwungen und durch die halbstaatlichen Banken Freddie Mac und Fannie Mae abgesichert. Nicht „entfesselte Märkte“, sondern sozialpolitisch motivierte staatliche Vorgaben und die Niedrigzinspolitik der Zentralbank waren die Ursache der Fehlentwicklungen, die zur Finanzkrise führten.
Sachwerte-Magazin: Sie fürchten eine Neuauflage der Finanzkrise…
Dr. Dr. Zitelmann: Die ist ja noch gar nicht zu Ende. Da die Diagnose über die Ursachen der Krise falsch war, ist auch die Therapie falsch. Eine durch zu niedrige Zinsen, politisch motivierte staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen und exzessive Schuldenmacherei verursachte Finanzkrise wird heute weltweit wiederum durch niedrige Zinsen, noch stärkere Staatseingriffe und noch extremere Schuldenmacherei bekämpft. Die Probleme sind dadurch nicht gelöst, sondern nur verdrängt und in die Zukunft verschoben worden. Sollte die Finanzkrise dann erneut aufflammen, wird sie fälschlicherweise wieder dem Kapitalismus angelastet.
Sachwerte-Magazin: Was ist das Besondere an Ihrem Buch?
Dr. Dr. Zitelmann: Ich vergleiche nicht Theorien mit Theorien oder Utopien mit der Realität, wie das Kapitalismus-Kritiker so gerne tun. Die denken sich eine ideale, angeblich perfekte Gesellschaft aus und vergleichen dann real existierende Gesellschaften mit diesen Kopfkonstrukten. Ich vergleiche dagegen Dinge, die man wirklich vergleichen kann, z.B. China vor und nach dem Beginn der marktwirtschaftlichen Reformen, die USA und Großbritannien vor und nach den Reformen von Reagan und Thatcher, die Entwicklungen in Süd- und Nordkorea oder in Chile und Venezuela.
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