Interview mit dem Historiker und Soziologen Dr. Dr. Rainer Zitelmann.
Herr Zitelmann, eine Videoaufzeichnung von einem Strategiekongress der Linkspartei verbreitete sich am Dienstag viral im Netz. Eine Teilnehmerin der Tagung sprach von Revolution und von der Erschießung reicher Menschen. Was ist da los?
Zitelmann: Ja, in der Tat. Der eigentliche Skandal war aber nicht einmal, dass da eine Frau von der Revolution und der Erschießung der Reichen sprach, sondern die Reaktion des Parteivorsitzenden Bernhard Riexinger. Der meinte darauf nämlich nur: „Ich wollte noch sagen, wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“
Da kommen Assoziationen zu Arbeitslagern auf. Ist so etwas denn ernst zu nehmen?
Zitelmann: Ich glaube weder, dass die Linke die Erschießung von 820.000 Reichen vorbereitet (in dem Redebeitrag war davon die Rede, was wäre, „wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben“) noch, dass in nächster Zeit die Einrichtung von Arbeitslagern geplant ist. Doch hinter solchen Äußerungen steckt ein tief sitzender Reichenhass. Und es gibt einflussreiche Kräfte in der Linkspartei, die sich auf den bolschewistischen Revolutionär Leo Trotzki berufen, an den dessen Händen Blut klebte. Wie so oft in Revolutionen wurde er übrigens später selbst ermordet, und zwar in Mexiko von einem Agenten Stalins mit einem Eispickel.
Warum führen solche Äußerungen nicht zu ähnlicher Empörung wie zum Beispiel rassistische Parolen von radikalen Rechten?
Zitelmann: Das stimmt. Zwar berichteten viele Medien, aber beispielsweise abends in den Tagesthemen oder dem Heute-Journal erfuhr der Zuschauer kein Wort von diesem Skandal. Das wäre bei entsprechenden Äußerungen aus der AfD gegen Migranten garantiert ganz anders gewesen. Aber hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Hass gegen Minderheiten wie Migranten, Homosexuelle usw. wird scharf verurteilt. Zu Recht. Aber Hass gegen Reiche ist irgendwie ok.
Ist das nur in Deutschland so?
Zitelmann: Nein, die Attacke auf die Reichen hat in vielen Ländern begonnen. Bernie Sanders, einer der aussichtsreichsten Kandidaten bei den Vorwahlen, die gerade in den USA stattfinden, bezeichnet sich selbst als Sozialist und punktet gerade bei jungen Amerikanern mit klassenkämpferischen Parolen und Hetze gegen die Reichen. In Großbritannien haben die Trotzkisten einen großen Einfluss in der Labour-Party. John McDonnell ist dort einer der einflussreichsten Politiker. Noch 2006 nannte er in einem Interview als die drei Personen, die ihn am meisten beeinflusst hätten: Marx, Lenin und Trotzki.
Feiert de Sozialismus ein Comeback?
Zitelmann: Es scheint so. Der Klassenkampf ist zurück. Als Anfang der 90er-Jahre die sozialistischen Systeme zusammenbrachen, dachten viele, der Sozialismus sei tot. Er war als völlig untaugliches Wirtschaftssystem widerlegt. Mehr als 100 Millionen Menschen starben bei dem Versuch, sozialistische Utopien zu verwirklichen. Aber für junge Menschen ist das heute Geschichte. Sie könnten davon eben nur im Geschichtsunterricht erfahren. Aber da hören sie viel von den Verbrechen des Kolonialismus und vermeintlichen Übeln des Kapitalismus, aber wenig von denen des Sozialismus. Ein Beispiel: Ende der 50er-Jahre starben in China 45 Millionen Menschen als Folge des größten sozialistischen Experiments in der Geschichte, das Mao den „Großem Sprung nach vorn“ nannte. Ich halte überall auf der Welt Vorträge vor jungen Menschen und frage, wer davon gehört hat. Leider kaum jemand. Übrigens: Für Ihre Leser habe ich hier zur Information als Podcast ein ganzes Kapitel aus meinem Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“, in dem es genau darum geht.
Was kann man gegen die Entwicklung tun?
Zitelmann: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Junge Menschen sind oft idealistisch und träumen Utopien einer besseren Gesellschaft. Das ist okay und war in meiner Jugend genau so. Aber man muss ihnen zeigen, dass der Traum von einer perfekten Gesellschaft fast immer im Albtraum einer Barbarei geendet hat. Das ist die Lehre der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Bild: privat