Die Ambitionen sind so gewaltig wie eigentlich alles in Saudi-Arabien: Bis 2030 soll der Staatsfonds des Königreiches zum größten der Welt werden und Norwegens Pendant vom Thron stoßen! Dann soll das Volumen die weltweit bisher unerreichte Schallmauer von zwei Billionen Dollar durchbrechen. Der spektakuläre Neymar-Transfer bildet dabei nur ein Puzzle-Teil von vielen.
Mit seiner ehrgeizigen Agenda »Vision 2030« plant Saudi-Arabiens mächtiger Kronprinz Muhammad bin Salman, kurz MBS, die Öl-Abhängigkeit der saudischen Wirtschaft deutlich zu reduzieren. So will sich der Wüstenstaat seinen Wohlstand auch in einer Post-Petro-Welt sichern. Eine zentrale Rolle bei dieser Diversifikation spielt der »Public Investment Fund« (PIF), der saudische Staatsfonds. An sich keine revolutionäre Idee, denn auch andere Öl-reiche Länder haben ähnliche Konstrukte gegründet. Doch wie so oft im Leben macht die Größe den Unterschied. Über 1.400 Angestellte arbeiten daran, das Volumen des PIF von aktuell rund 778 Mrd. Dollar bis 2030 auf zwei Billionen Dollar mehr als zu verdoppeln. Zum Vergleich: Die amtierende Nummer Eins der Welt, der norwegische Staatsfonds, liegt bei rund 1,37 Billionen Dollar.
Plus 200 Milliarden Dollar in den nächsten zwei Jahren
Um die Ziele zu erreichen, wird ein geradezu halsbrecherisches Investment-Tempo nötig. Bis 2025 sollen die Assets under Management (AuM) des PIF die Billionen-Marke knacken. Im Klartext: MBS fordert ein Wachstum von über 200 Mrd. Dollar in den kommenden zwei Jahren! Mit reiner Rendite-Performance erscheint dies nicht realistisch, vor allem in Anbetracht der letzten zwei Jahre. Denn 2022 hat der Saudi-Fonds laut »Bloomberg« elf Mrd. Dollar Verlust gemacht, 2021 nur 19 Mrd. Dollar Gewinn erwirtschaftet. Es braucht also weitere massive Kapitalspritzen vom Staat – wie z.B. im April, als der PIF vier Prozent der Aramco-Aktien im Wert von insgesamt 80 Mrd. Dollar erhalten hat. Wie viel Geld zur Verfügung steht, hängt immer noch von den Ölpreisen ab, auf die sich das Königreich in Zukunft eben nicht mehr verlassen möchte.
Doch nicht allein das schwarze Gold entscheidet über das Wachstum des PIF. Dem Nachrichtenmagazin »The Economist« sagt Robert Mogielnicki vom Think Tank »Arab Gulf States Institute«, dass Co-Investoren helfen könnten, den Wert der PIF-Assets zu steigern. Dies sei auch der Fall bei den gigantischen Industrie- und Tourismusprojekten wie »Neom«. Hier hilft der Staatsfonds, die aktuelle Riesenbaustelle in eine futuristische Mega-Metropole zu verwandeln. Auf einem Areal von 26.000 Quadratkilometern – zehnmal so groß wie das Saarland – entsteht eine Sonderwirtschaftszone, die ausländische Investitionen, Fachkräfte und Touristen anlocken soll.
Transfer-Feuerwerk im Wüstenstaat
Damit dies gelingt, arbeitet Saudi-Arabien an seiner internationalen Wahrnehmung, konkret an einer höheren Sichtbarkeit und einer besseren Reputation. Letztere ist durch wiederholt schwere Menschenrechtsverletzungen stark beschädigt. Wie Qatar setzt das Königreich nun also auf Sport, vor allem auf Fußball, um sein Image aufzupolieren. So hat der PIF 2021 den Premier League-Club Newcastle United gekauft und schnell vom unteren Tabellendrittel in die Champions League geführt. Doch anders als die anderen Golfstaaten geht Saudi-Arabien mit seinem PIF noch weiter und investiert nicht nur in einen ausländischen Verein, sondern jetzt auch intensiv in die eigene Liga. Im Juni hat der Staatsfonds je 75 Prozent von gleich vier Clubs der Saudi Pro League erworben: Al-Ittihad, Al-Nassr, Al-Hilal und Al-Ahli. Das finanziell breite Kreuz des PIF erklärt das aufsehenerregende Transfer-Feuerwerk in diesem Jahr.
Absolutes Highlight: der brasilianische Stürmer-Weltstar Neymar ist diese Woche für 90 Mio. Euro von Frankreichs Rekordmeister Paris St. Germain (PSG) zum saudischen Rekordchamp Al-Hilal gewechselt. Der Coup gilt als noch größeres Ausrufezeichen als das Engagement der Legende Cristiano Ronaldo. Denn der fünfmalige Weltfußballer und fünfmalige Champions League-Gewinner ist zwar sportlich viel höher dekoriert als Neymar, aber er ist im fortgeschrittenen Fußballer-Alter von 38 Jahren nach Saudi-Arabien gewechselt. Neymar hingegen befindet sich mit 31 Jahren in einem Karriere-Abschnitt, in dem Spitzenfußballer in aller Regel noch auf internationalem Topniveau performen können.
Die beiden Stars finden sich jedenfalls inzwischen in illustrer Gesellschaft. Auch der Weltfußballer 2022, Karim Benzema, hat dieses Jahr in Saudi-Arabien unterschrieben. Ebenso Stars wie Sadio Mané vom FC Bayern, Roberto Firmino vom FC Liverpool oder Edouard Mendy vom FC Chelsea. Das Kalkül: Mehr Stars locken noch mehr Stars. Die fürstlichen Gehälter, dank PIF oft doppelt so hoch wie in Europa, tun ihr Übriges. Beobachter erwarten, dass die Saudis diese Entwicklung für ihre Bewerbung um die Ausrichtung der Fußball-WM 2030 nutzen werden – dann gespickt mit zahlreichen prominenten Fußballern aus der heimischen Liga als Markenbotschafter.
Wehe, wenn der Plan nicht funktioniert…
Neben Sport gehören außerdem die Gaming-Industrie und Dekarbonisierung zu den Investment-Bereichen des PIF. So wurde der saudische Staatsfonds im Februar zum größten ausländischen Investor beim japanischen Gaming-Giganten Nintendo. Darüber hinaus befinden sich Anteile der Videospiele-Produzenten Activision Blizzard und Electronic Arts im Portfolio. Kein Zufall, denn Saudi-Arabien plant Neom zu einem Hotspot der Videospiel-Industrie zu machen. Im Bereich »Clean Energy« investert der Staatsfonds in Lucid, einem Hersteller von Elektroautos. Dieser hat im Juni den Auftrag gewonnen, Aston Martin mit Elektromotoren und Batterien zu versorgen. Zufälligerweise hält der PIF auch einen großen Anteil an eben jener britischen Luxusauto-Marke. Und wo errichtet das kalifornische Lucid die erste Fabrik in Übersee? Richtig, in Saudi-Arabien. Merke: Ausländische Direktinvestitionen lassen sich auch erkaufen.
Doch ganz so einwandfrei funktioniert der Plan mit Lucid noch nicht. Aktuell gilt das Investment als extremer Low Performer – genauso wie die Wagniskapital-Investitionen durch den »Vision Fund« von Soft Bank und die Anteile an Uber. Zu viele dieser Fehler darf sich der Saudi-Staatsfonds allerdings nicht erlauben, da der Kronprinz die Ziele hoch gesteckt hat, der Zeitplan eng ist und das Schicksal des Königreiches von einer erfolgreichen Transformation der Wirtschaft abhängt.
SH